Leistungskurs Politik und Wirtschaft nimmt an Online-Seminar zu Populismus in Europa teil

Aus Anlass der deutschen EU-Ratspräsidentschaft bietet das Haus am Maiberg im 2. Halbjahr 2020 eine Online-Veranstaltungsreihe unter dem Titel „(De)Maskierte Solidarität in Europa?“ zu verschiedenen aktuellen europäischen Themenfeldern an. An der letzten Veranstaltung zum Thema „Populismus in Europa – ökonomische Erklärungsansätze“ nahm auch der Leistungskurs Politik und Wirtschaft aus der Jahrgangsstufe Q3 teil. Hierzu lud Susanne Kolb, Referentin für politische Bildung, mit Prof. Dr. Philip Manow, Politikwissenschaftler an der Universität Bremen, einen ausgewiesenen Experten zum Thema „Populismus“ ein.

Zu Beginn des Gesprächs definierte Prof. Manow den nicht immer leicht zu greifenden Populismus-Begriff: Er werde meist abwertend gebraucht und fungiere sehr häufig als ein politischer Kampfbegriff. Populismus sei dabei ein vielgestaltiges Phänomen und zeichne sich unter anderem durch eine aggressive Rhetorik und durch ein einfaches Gut-Böse-Schema aus, z. B. „das wahre Volk“ gegen „die korrupten Eliten“. Sowohl mit politisch linken als auch mit politisch rechten Positionen und Inhalten sei Populismus kompatibel. Dies zeige, so Manows These, dass im Zusammenhang mit populistischen Strömungen auch eine neue gesellschaftspolitische Konfliktlinie entstanden sei. Ausgehend von der Frage, ob Populismus ein Problemanzeiger oder gar ein notwendiges Korrektiv für eine Demokratie sei, erläuterte Herr Manow, dass Populismus für eine Demokratie nicht konstituierend sei und man auch gut ohne auskäme, auch wenn es Populismus schon immer gegeben habe.

Mit Blick auf mögliche Erklärungsansätze für derartige Strömungen betonte Manow, dass sich Populismus als durchaus zeitgenössisches Phänomen zeige, welches besonders heutzutage durch seine immer stärkere Varianz (links und rechts) fast allgegenwärtig und auch virulent sei. Als mögliche (ökonomische) Erklärungsansätze für Populismus sehe er besonders die Reaktionen einiger Menschen auf Globalisierungs- und Transformationsprozesse und sprach von sogenannten Modernisierungs- bzw. Globalisierungsverlierern. Der gesellschaftliche und ökonomische Wandel, von dem viele Menschen allerdings in unterschiedlicher Weise betroffen seien, könne diese in die Arme von Populisten treiben. Dies würden auch die verschiedenen Krisen wie die Euro-, Flüchtlings- oder Covid-19-Krise zeigen, da z. B. in verschiedenen Ländern Europas eine unterschiedliche Unzufriedenheit aufgrund einer jeweils anderen Krisenbetroffenheit herrsche. So könne man sagen, dass hierbei die Nachfrage an Populismus steige, was auch dadurch belegt werden könne, dass es bis vor Kurzem zum Beispiel keine rechtspopulistischen Parteien in Italien oder Spanien gegeben habe. Hinzu komme noch, dass sich aber auch das Angebot an Populismus ausgeweitet habe, so z. B. durch eine verstärkte Präsenz in den neuen bzw. sozialen Medien, während die klassischen Medien ihre Diskurshegemonie verloren hätten. In Krisenzeiten zeige sich dies auch an den gestiegenen Abonnenten- und Zuschauerraten von z. B. Verschwörungsanhänger*innen.

Wenn also, so Manow, Populismus eine Reaktion auf sogenannte Globalisierungsschocks sei, zeige sich am Beispiel von Migration, dass sich einige Menschen also vor den Effekten der Globalisierung schützen wollen und die passende Unterstützung oft bei rechtspopulistischen Parteien finden würden. Als Beispiel hierfür nannte Manow den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der mit seiner immigrationsfeindlichen Fidesz-Partei eine deutliche Mehrheit im Parlament erhielt. Am Beispiel der Umverteilungspolitik der polnischen PiS-Partei lasse sich zeigen, wie eine populistische Partei in ökonomischer Hinsicht seine Landbevölkerung vor den Auswirkungen der Globalisierung zu schützen versuche.

Wie die Anti-Corona-Demonstrationen der letzten Wochen zeigen würden, steige auch die Unzufriedenheit in Deutschland. Jedoch müsse betont werden, dass die bisher ergriffenen wirtschaftspolitischen Maßnahmen die ökonomischen Folgen der Corona-Krise – eigentlich eine Entglobalisierungskrise – recht erfolgreich abgefedert hätten. Ein Wirtschaftseinbruch mit zeitlichem Verzug, wenn bestimmte Unterstützungen des Staates ausliefen, sei allerdings nicht auszuschließen und somit ein Einfallstor für populistisches Gedankengut.

Zum Schluss veranschaulichte Herr Manow anhand einiger Statistiken, dass die Corona-Krise europaweit den rechtspopulistischen Parteien bisher keine allzu großen Gewinne beschert habe, da die Umfragewerte der Parteien weder stark zu- noch drastisch abgenommen hätten. Grundsätzlich sei soziale Ungleichheit ein entscheidender Treiber von Populismus und die demokratischen Akteure müssten dies besonders bei der Ursachenbekämpfung von Populismus beachten.

In dem rund eineinhalbstündigen Gespräch mit Herrn Prof. Manow konnte das interessierte Publikum ökonomischen Erklärungsansätzen von Populismus nachgehen und sein Verständnis diesbezüglich nützlich erweitern. Vielen Dank an Susanne Kolb vom Haus am Maiberg für die Organisation und Moderation dieser lehrreichen Veranstaltung.

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