Zeitzeugengespräch an der GSS: „Der Fall Gallus“

„Wo Liebe ist, wird das Unmögliche möglich!“

Jutta Fleck

Der 04.10.2022 sollte ein wichtiger Tag an der Geschwister-Scholl-Schule in Bensheim werden, welcher jedem Zuschauenden bis heute im Kopf bleibt: Es wurden zwei Zeitzeuginnen eingeladen, die von ihrer abenteuerlichen und folgenreichen Flucht aus der ehemaligen DDR berichten sollten.

Die Geschwister-Scholl-Schule (GSS) setzt auf Gemeinschaft und auch auf Aufklärung über vergangene Übel in der Geschichte. Das Hauptaugenmerk liegt natürlich auf der Geschichte von Hans und Sophie Scholl, weshalb die GSS das Symbol der „weißen Rose“ als Schulsymbol besitzt. Doch Herr Stefan Trier, Leiter des Fachbereiches der Gesellschaftswissenschaften an der GSS, setzt sich stets für weitere spannende Projekte ein, die an die Schule gebracht werden sollen. So auch dieses Mal: Die Koleginnen Frau Reinhardt, Frau Liebau, Frau Marx und Frau Fackler wurden mit der Organisation der Veranstaltung betraut und Frau Beate Gallus und Frau Jutta Fleck, bekannt als die „Frau vom Checkpoint Charlie“, konnten zum Gedenktag der deutschen Einheit gewonnen werden. Es sollte ein Einblick über die Zeit der DDR ermöglicht werden, auch im Zusammenhang mit persönlichen Erfahrungen zum Kampf bzw. zum friedlichen Widerstand gegen die SED-Diktatur zur damaligen Zeit. Das Highlight der Veranstaltung war ein Ausschnitt aus der Dokumentation zur „Frau vom Checkpoint Charlie“ und auch die danach folgende persönliche Fragerunde.

Nach der Begrüßung um 9:00 Uhr, durchgeführt von Luca Ost, der Gäste Jutta Fleck und ihrer Tochter Beate Gallus, wurden schließlich auch weitere Teilhabende wie unser Landrat Herr Christian Engelhardt begrüßt. Unter Staunen beobachteten die Zuschauer danach ein musikalisches Stück, vorgetragen von der Schülerin Laksana Vijayakaran in Begleitung von Herrn Holger Schmidt am Klavier.

Nun durfte Frau Fleck dann endlich damit beginnen, von ihrem aufregenden Weg aus der Gefangenschaft aus der ehemaligen DDR zu berichten.

Doch wie war es denn eigentlich möglich, der damalig bestehenden Berliner Mauer zu entkommen? Jeder Bürger musste, um das Staatsgebiet der DDR verlassen zu dürfen, ein Visum für Urlaubsrecht bei der Bundespolizei beantragen. Da dieser Antrag allerdings bei der Referentin stets abgelehnt wurde, musste sie sich einen neuen Plan überlegen, der noch weitreichende Folgen mit sich tragen sollte: Jutta Fleck kontaktierte auf Empfehlung einen Mann, der falsche Identitäten vermittelte, was es ihr und ihren Töchtern ermöglichte, vorerst nach Rumänien entfliehen zu können. Durch den Verrat durch eigene Familienmitglieder, wie in den 2000er Jahren durch Akteneinsicht deutlich wurde, konnte ihr Identitätenschwindel aufgedeckt werden, weshalb Frau Fleck von ihren Töchtern Claudia und Beate Gallus getrennt wurde. Frau Fleck wurde von der Stasi in die Burg Hoheneck verfrachtet, das damals „schlimmste Frauengefängnis der DDR“, so Jutta Fleck. Innerhalb ihrer zweijährigen Haft musste sie immer wieder mit Diskriminierung und Belästigung durch „Untersuchungen bis auf die Haut“ kämpfen, bis sie dann schließlich freikam. Weiterhin allerdings getrennt von ihren Kindern, welche, nach Kinderheimaufenthalten, bei ihrem Vater leben mussten. Beate Gallus führte die Geschichte nun aus Sicht der beiden Töchter fort, welche ebenfalls in Schulen mit Diskriminierung und Mobbing zu kämpfen hatten, da der Ruf ihrer Mutter schnell publiziert wurde, um die Schande möglichst groß erstrahlen zu lassen. Auch für die Kinder, welche es nie gewohnt waren, von der Mutter getrennt zu sein, war es eine enorm schwierige Zeit. Die Erleichterung war daher auch umso größer, als sich Mutter und Töchter wieder nach langwierigem Prozess in die Arme schließen konnten, schließlich aber auch nur durch den mutigen Einsatz des Anwaltes Wolfgang Vogel.

Frau Fleck erzählte, wie wenig Hilfe sie über die ganze Zeit von den führenden Personen der BRD bekommen habe und wie enttäuscht sie von Altkanzler Helmut Kohl und über dessen fehlende Unterstützung gewesen sei. Dieser verdrängte sie nämlich vom Rednerpult, als sie vor der Bundesregierung sprechen wollte. Frau Fleck ging daher auch zu einer Veranstaltung zum 10. Jahrestag der Helsinki-Schlussakte in Wien, um die Chance zu bekommen, ihre Kinder wiederzusehen. Dabei entging sie nur knapp einem heimtückischen Mordanschlag der Stasi. Später sprach sie noch vom „Menschenhandel zwischen Ost und West“ und machte ein Bild über diese Zeit deutlich, das eindeutig und unbestreitbar war: Das Bild über eine gescheiterte und falsch zentrierte „Demokratische Republik“. Die Erzählung wurde in der Dokumentation danach nochmal ergänzt und bildlich festgehalten.

Die abschließende Fragerunde ergab zusätzliche Eindrücke: Frau Fleck entgegnete auf eine Frage, sie bereue keinen ihrer Handlungsschritte und würde es genauso noch einmal tun. Selbstverantwortung spiele dabei für sie die größte Rolle. Sie fand tatsächlich auch einen positiven Aspekt an der ehemaligen DDR, nämlich den, dass der Zusammenhalt der Bürger innerhalb enorm stark war. Solch einen Zusammenhalt und dieses Gemeinwohl vermisse sie in der heutigen Zeit wohl doch sehr. Die Bespitzelungen durch ihre eigene Familie sehe sie eher als Lehre für alle Menschen an, als nachtragend zu sein.

Auch berichteten die beiden Damen von den Nachwehen ihres persönlichen Schicksals: Fakt ist, dass natürlich jeder anders darauf reagiere. Frau Jutta Fleck und Frau Gallus klären gerne über dieses heikle Thema auf, was für sie auch als Verarbeitung funktioniere. Andere haben Probleme, über diese Geschehnisse ein Wort zu verlieren. Die Dokumentation „Die Frau vom Checkpoint Charlie“ solle darüber informieren, wie sich damals in Berlin und Umgebung alles abspielte, und was wir heutzutage lieber nicht mehr zulassen sollten. Denn auch Phobien in Folge von Traumata bis hin zu riesigen Angstzuständen können Nachwirkungen sein. Damit könne nicht jeder Mensch umgehen.

Die Botschaft dieses Events bleibt also klar: Lasst uns gemeinsam aus der Geschichte lernen, sodass wir solch eine freiheitseingeschränkte Zeit nie wieder durchleben müssen!

Präsentation zum Download

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