Wir sind Europa – Hessische Europaministerin Lucia Puttrich zu Gast an der Geschwister-Scholl-Schule Bensheim

Populismus, Brexit, Migration, Artikel 13 und Klimademonstrationen – die Europäische Union sieht sich kurz vor der Wahl ihrer Vertreter*innen in Brüssel und Straßburg vor große Herausforderungen gestellt.

Im Zuge der im Mai anstehenden Europawahl hatten wir, die Schüler*innen aus den Abschlussklassen der Realschule, der E-Phase, der Q2 sowie der Q4 am Montag, den 25. März 2019, die Möglichkeit, im Forum der Geschwister-Scholl-Schule mit der Hessischen Staatsministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten, Frau Lucia Puttrich, im Rahmen des EU-Projekttages über die aktuell brisanten Themen zu debattieren.

Nach der Begrüßung durch die Schulleiterin, Frau Dr. Lüdtke, und einem Grußwort des Ersten Stadtrates der Stadt Bensheim, Herrn Helmut Sachwitz, die beide an die Gründung einer europäischen Gemeinschaft als Friedensprojekt erinnerten und sich für ein offenes Europa ohne Protektionismus aussprachen, zeigte Frau Puttrich zunächst in einem Kurzvortrag Impulse für die anschließende Diskussionsrunde über Europa und die Europäische Union auf.

Zehn politisch engagierte Schüler*innen aus der 9. Klasse, der E-Phase und der Q2 übernahmen in thematischen Zweiergruppen die Moderation der Veranstaltung, die in Form eines American Town Hall Meetings stattfand. Die fünf Themenbereiche, die sich aus der Vorbereitung dieses Projekttages im Politik und Wirtschafts-Unterricht herauskristallisiert hatten, waren: Was bringt uns Europa?, der Brexit, Migration und Asyl, die kommenden Europawahlen sowie die Urheberrechtsdebatte um Artikel 13. Die Moderatorenteams stellten der Ministerin zunächst einige Eingangsfragen zu ihrem Themenfeld, um anschließend Fragen aus dem interessierten Plenum einzuholen.

Im Bezug auf die in Europa aufkeimenden populistischen und nationalistischen Strömungen wurde die Staatsministerin mehrmals auf die Inkonsequenz der EVP bezüglich des ungarischen Regierungschefs Orbán angesprochen, dessen Partei Fidesz vergangene Woche temporär von der Europäischen Volkspartei (EVP) suspendiert wurde. Frau Puttrich entgegnete, dass man den gemäßigten und proeuropäischen Stimmen innerhalb Orbáns Partei eine Plattform geben müsse und dass die vorläufige Suspendierung demnach der einzige Weg sei, diesen auf europäischer Ebene weiterhin Gehör zu verschaffen. Nur weil die Minderheit so „laut“ sei, bleibe sie dennoch eine Minderheit – die Mehrheit hingegen sei proeuropäisch. Die von vielen Schüler*innen vertretene Auffassung, Orbán sei nur aufgrund der Nützlichkeit der Stimmen seiner Partei für die bevorstehende Wahl des EVP-Kandidaten Manfred Weber zum EU-Kommissionspräsidenten nicht vollständig ausgeschlossen worden, dementierte Frau Puttrich und hielt dem die Wahl des amtierenden Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker entgegen, der ohne die Stimmen der Fidesz-Partei dieses Amt bekleiden konnte.

Bezüglich der Herausforderungen des bevorstehenden Brexits sprach sich Frau Puttrich, aufgrund der zur Zeit des Referendums 2016 kursierenden Fehlinformationen, für ein erneutes Referendum aus, an dem nun mit Sicherheit mehr junge Briten teilnehmen würden als am ersten. Die Ministerin sagte außerdem, dass die Konsequenzen eines solchen Austritts Großbritanniens aus der EU klar sein müssten und man nicht „fassungslos“ bleiben dürfe, sondern nach Gründen für die Entfremdung suchen müsse. Im Falle eines Wiedereintritts könne Großbritannien außerdem nicht dieselben Konditionen genießen, von denen es heute profitiere. Ein Wiedereintritt in die EU müsse aus Fairness anderen Mitgliedsstaaten gegenüber an dieselben Bedingungen geknüpft werden.

Auch das Thema Klimaschutz interessierte das Publikum: Das Engagement der Schüler*innen bei den jüngsten Klimaschutzdemonstrationen im Rahmen der Fridays-For-Future-Bewegung unterstütze sie, allerdings lehne sie das Demonstrieren während der Schulzeit ab.

Das Thema Migration bezeichnete Frau Puttrich als „gemeinsame Aufgabe“ Europas. Die Frage, warum es keine Sanktionen für die Länder gebe, welche die Aufnahme von Migranten verweigerten, versuchte sie mit dem Defizit an Erfahrungen dieser Länder hinsichtlich einer gelingenden Integration zu begründen. Ihrer Meinung nach müsse man mehr auf Belohnungen als auf Bestrafungen setzen, weshalb sie verpflichtende Quoten ablehne.

Mit Blick auf die bevorstehende Abstimmung im Europaparlament zum Urheberrecht und zu Artikel 13 betonte Frau Puttrich, dass es hierbei um die Frage nach der Anpassung des Urheberrechts an das digitale Zeitalter, das den Schutz geistigen Eigentums ebenso gewährleisten müsse wie den Schutz materiellen Eigentums, gehe. Die Gefahr der Zensur durch sogenannte Uploadfilter könne man so gut wie ausschließen, da diese nach Fehlern durch technische Innovationen immer wieder überarbeitet werden würden. Der Schutz der Urheberrechte sei essenziell, so Puttrich, damit fremde Menschen und Unternehmen keinen Gewinn mit dem geistigen Eigentum der Urheber erwirtschaften könnten. Dass auch einige ihrer Kolleg*innen hier Fehler in der Kommunikation mit den Gegnern der geplanten Richtlinie gemacht hätten, wurde von der Staatsministerin eingeräumt.

Insgesamt nahmen die Schüler*innen die Möglichkeit, mit einer Politikerin in einen persönlichen Austausch treten zu können, sehr intensiv wahr, was sich in einigen kontroversen Positionen und durchaus kritischen Statements zeigte. Auch während des anschließenden Empfangs nahmen einige Schüler*innen die Gelegenheit wahr, um noch einmal im persönlichen Gespräch mit Frau Puttrich gezielte Nachfragen zu stellen. 

Die Veranstaltung wurde sowohl von der Schulgemeinde als auch von den zahlreichen anwesenden Gästen als sehr gelungen empfunden. Dies lag vor allem an unserem Gast Frau Puttrich, die sich auch kritischen Fragen stellte und direkt darauf einging. In fast jeder Antwort von Frau Puttrich wurde zudem deutlich, wie sehr sie von der europäischen Idee – trotz aller aktuellen Herausforderungen und einem nicht zu verneinenden Optimierungsbedarf der EU – überzeugt ist und dafür auch nachdrücklich eintritt.

Wie es an der Geschwister-Scholl-Schule Tradition ist, überreichte Frau Dr. Lüdtke zum Dank an Frau Puttrich eine weiße Rose – in Erinnerung an die Namensgeber unserer Schule. Daneben erhielt unser Gast eine Publikation der über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Geschichtswerkstatt der Geschwister-Scholl-Schule über die in Bensheim ansässige Firma Sanner.

Zum Gelingen dieses EU-Projekttages trugen das Organisationsteam um Herrn Trier und Herrn Stricker (Frau Hammer, Herr Borchert, Herr Berg, das Hausmeisterteam) sowie Frau Reich mit einem Catering bei. Insbesondere jedoch die Schülermoderator*innen und die Fragen aus der Schülerschaft haben diesen Vormittag so interessant und lehrreich gemacht.

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