Die Klassenfahrt warf ihre Schatten lange voraus. Seit Jahresbeginn lief Muhamed regelmäßig zum Kalender, um abzuzählen, wie viele Wochen es noch bis zur Fahrt nach Kirchähr wären. Es hatte sich herumgesprochen, dass Kirchähr viel schöner als Bensheim sei, als Schule sowieso, und das Essen, und der Fußballplatz …
Endlich, 1.April, 8 Uhr, alle pünktlich am Bus.
Seit einem halben Jahr lernen die Schüler Deutsch. Hier ist ihr Bericht:
Drei Tage in Kirchähr
Wir haben viel gespielt und Spaß gehabt.
Am Montag haben wir einen Ausflug gemacht und sind acht Kilometer zum Wildpark gelaufen. Wir haben Tiere gesehen: Bären, Rehe, Ziegen, Esel, Pferde und Vögel. Ein riesiger Hund ist zu uns gelaufen. Er wollte spielen. Wir nicht. Wir hatten Angst. Muhamed ist auf den Picknicktisch geklettert. Auf dem Spielplatz im Wildpark war eine Tonne. Die Tonne hat sich gedreht und wir sind in der Tonne gerannt und alle sind hingeflogen. Nach der Wanderung waren wir sehr müde.
Wir sind auch im Seilpark geklettert. Ein Trainer hat erklärt, wie wir auf den Seilen laufen können.Was war noch toll? Das Essen.
Umütcan hat die Kartoffeln beim Mittagessen geliebt, Patricia fand die Spaghetti besser, Adam meint, die Pirogi waren der Hammer.Was hat euch besonders gefallen?
Bartek: Am besten hat mir der Tierpark gefallen, weil es so viele Tiere gab, aber warum müssen wir acht Kilometer laufen?
Abdulla: Am besten hat mir der Spielplatz gefallen, weil
ich schnelle Drehtonnen liebe.Gledis: Am besten hat mir das Klettern im Seilpark gefallen,
weil ich in Albanien noch nie geklettert bin, aber warum gab es im
Haus 100 Treppenstufen zu unseren Zimmern?Adam: Am besten hat mir das Essen gefallen, weil die Pirogi gut
schmecken, aber meine Oma macht noch bessere.Abdulkarim: Am besten hat mir der Tischfußball gefallen, aber
warum hatte ich meine Brille vergessen? Wo war der Ball?Kübra: Am besten hat mir die Wanderung zum Wildpark gefallen,
weil ich laufen liebe, aber warum ist der riesige Hund gekommen?Nawal: Am besten hat mir das Laufen gefallen, weil Sport wichtig ist,
aber warum war es so lang?
Und das Begleitpersonal?
Manche Sorge entpuppte sich als überflüssig:
- Keiner hatte vergessen den Wecker auf die Sommerzeit vorzustellen.
- Nur wenige kamen ohne Bettlaken.
- Lediglich eine Schülerin bestritt das Sport- und Spielprogramm in Flipflops.
Anderes war überraschend unkompliziert:
- Der Busfahrer
entpuppte sich als toleranter katholischer Priester, der in seiner Freizeit zum Spaß Bus fuhr und den auch laute arabische Gesänge aus dem Fahrzeugfond nicht aus der Ruhe brachten. - Die Verköstigung der Multikulti-Truppe
Umutcans Hitliste:
1. Das Mittagessen
2. Das Abendessen
3. Der Kakaoautomat - die Nachtruhe
gesichert durch 4-6 Stunden Frischluft und einen Sack voll Handys im Flugmodus.
Unerwartetes? Ja auch:
Die Bewegungen der jungen Männer durch das Haus ließen sich problemlos nachverfolgen. Man musste nur den Spuren folgen, die sie sonnenblumenkernkauend hinterlassen hatten. Nur hin und wieder endeten diese abrupt vor einem Fenster …
„Herr Ünver, Herr Ünver, der Hassan ist schon wieder aus dem Fenster geklettert!“
Sogar metaphysische Fragen blieben nicht unbesprochen:
„Frau Mitgau, was ist das?“
„Ein Friedhof.“
„Verbrennen oder nicht verbrennen?“
„Das geht beides.“
„Ja, und Sie?“
„Ich bin ja noch nicht tot.“
„Ja, aber, was machen Sie dann?“
…
Fazit: Jeder Zeit wieder, aber vielleicht besser ohne Sonnenblumenkerne.