Am vergangenen Freitag konnten die ehemaligen Schülerinnen und Schüler der Projektgruppe „Kaufhaus Ganz“ im vollbesetzten Forum der GSS ihr Werk in Empfang nehmen.
Langzeitprojekte haben im schnelllebigen Schulalltag Seltenheitswert. Umso bemerkenswerter ist es, dass nach über fünf Jahren Laufzeit und Unterbrechung während der Covid-Pandemie das Ergebnis langwieriger Recherchen nun in Buchform vorliegt: Die Dokumentation „Gegründet 1936? Das Kaufhaus Ganz und seine jüdische Vorgeschichte“ (ISBN 978-3-00-079726-2) beschreibt auf 639 Seiten eine 125-jährige Kaufhaustradition in Bensheim, die 1899 mit dem Kaufhaus Julius Heineberg in der heutigen Hauptstraße 5 begann und mit den jetzigen Geschäftsführerinnen Katjuscha Maschik und Tatjana Steinbrenner in die Zukunft geführt wird. Bemerkenswert ist auch, dass es sich 18 ehemalige Schülerinnen und Schüler der Projektgruppe nicht nehmen ließen, persönlich zu erscheinen, um ihr Buch erstmals in Händen zu halten, nachdem sie bereits vor vier Jahren unsere Schule verlassen hatten. Einige beteiligten sich sogar aktiv an den Redebeiträgen und bewiesen damit, welch nachhaltige Spuren die Arbeit der Geschichtswerkstatt bei Ihnen hinterlassen hat.
Im Mittelpunkt der Dokumentation steht die Bewertung des Kaufvertrags von 1936 zwischen den ehemaligen jüdischen Besitzerinnen, Sophie Jacoby und deren Nichte Else Schwabacher, sowie den Käufern Ernst Ganz und Karl Birkenmeier, die das Traditionskaufhaus damals übernahmen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Umsätze des Unternehmens aufgrund der nationalsozialistischen Verfolgungsmaßnahmen gegen jüdische Mitbürger bereits dramatisch gesunken und die beiden Verkäuferinnen sahen sich zum Verkauf gezwungen, um ihre Flucht aus Deutschland finanzieren zu können. Bereits zu diesem vergleichsweise frühen Zeitpunkt nahm die NSDAP Einfluss auf die Vertragsbedingungen – zu Ungunsten der jüdischen Vorbesitzerinnen, weshalb von „Arisierung“ gesprochen werden kann. Die Jungunternehmer Ganz und Birkenmeier vereinbarten zudem Ratenzahlung, nahmen es aber mit der Vertragserfüllung nicht allzu genau, sodass bis heute nicht nachvollzogen werden kann, ob die Zahlungen, auf die die Vertragspartnerinnen im französischen Exil dringend angewiesen waren, jemals vollständig geleistet wurden.
Im Wiedergutmachungsverfahren, das im Auftrag der amerikanischen Militärregierung nach dem Krieg durchgeführt wurde, wurde Ganz, der sich 1940 von seinem Geschäftspartner Birkenmeier getrennt hatte, zur Nachzahlung des Firmenwertes verpflichtet, der 1936 nicht veranschlagt worden war. Auch hier zog Ganz die Zahlungen in die Länge, sodass Sophie Jacoby und Else Schwabacher, die mittlerweile in die USA emigriert waren, erst im Jahre 1957 die letzte Ratenzahlung erhielten.
Darüber hinaus bietet das Buch detaillierte Einblicke in die Biografien der jüdischen Vorbesitzer und zeigt bislang unveröffentlichte Fotografien und Dokumente aus Privatbesitz. Besonders ergreifend ist die ausführlich geschilderte Fluchtgeschichte der Familie Jacoby/Schwabacher, die auf Materialien und Interviews mit Else Schwabachers Sohn, Howard Wolff, basiert, der zusammen mit seiner Ehefrau Susan Wolff eigens aus den USA angereist war und seine niedergeschriebene Familiengeschichte nun eigenhändig in Empfang nehmen konnte.