Die Eintracht galt als „Judenclub“

Bensheim. Sportlich taumelt die Eintracht gerade etwas hinterher. Bei der Aufarbeitung seiner Vergangenheit ist der Frankfurter Fußballverein aber sicher einer der Tabellenführer. Matthias Thoma ist seit 2007 Leiter des Museums von Eintracht Frankfurt. Das Gedächtnis des Traditionsclubs, der auch ein im Sport gern ausgeblendetes Kapitel minutiös aufgearbeitet hat: die Vereinsgeschichte während der NS-Zeit

Gestern war Thoma zu Gast an der Geschwister-Scholl-Schule. Anlass war der Gedenk- und Todestag von Hans und Sophie Scholl, die am 22. Februar 1943 vom „Volksgerichtshof“ zum Tode verurteilt und noch am gleichen Tag enthauptet wurden. Lehrer Dieter Martin, Leiter des gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfelds der GSS, begrüßte den Referenten vor Schülern der neunten und elften Jahrgangsstufe. „Der Gedenktag ist in diesem Jahr besonders wichtig“, sagte Martin bezüglich der jüngsten Vorkommnisse in Bautzen und Clausnitz.

Martin appellierte an die Schüler, sich aktiv für Toleranz und Freiheit einzusetzen. „Wir dürfen bei dieser schlimmen Entwicklung nicht zuschauen“, so der Lehrer. Die GSS, an der etwa 45 verschiedene Nationen vertreten sind, ist Teil des Netzwerks „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“.

Der jüdische Fußballer Julius Lehmann lief noch im Jahr 1937 in der dritten Mannschaft der Eintracht auf. „Er war kein begnadeter Fußballer, aber ein guter Sportler und anerkannter Teamkollege“, so Matthias Thoma in Bensheim. Er hat sich in den vergangenen Jahren umfassend mit der Vereins-Biografie beschäftigt und tief in den Archiven gewühlt. Thoma ist Autor mehrerer Publikationen zum Thema und kennt die Eintracht-Geschichte von 1899 bis heute wie kaum ein anderer.

Die Bezeichnung der „Juddebube“ stammt noch aus Weimarer Zeit. Weil Fußballer damals noch kein Geld verdient haben, waren viele Frankfurter Kicker in der damaligen Schuhfabrik J. & C.A. Schneider beschäftigt – wenigstens pro forma, um den Amateurstatus nach außen hin aufrecht zu erhalten. Dieser einst weltgrößte Hausschuh-Hersteller war unter jüdischer Leitung. Durch diese engmaschige Verbindung kam die Eintracht auch zu ihrem Spitzname: „Schlappekicker“.

Im Gegensatz zu ihren Lokalrivalen vom FSV galt die Eintracht Frankfurt daher schon in den 20er Jahren als „Judenclub“. Man galt als liberal und kosmopolitisch. Daher war der Verein von der Machtübernahme der Nazis stärker betroffen als andere prominente Clubs. Bereits 1933 wurden Juden vom Regime systematisch aus Funktionärsposten herausgedrängt. Auch in Frankfurt wurden die Spitzenpositionen von Leuten besetzt, die dem Regime dienlich waren und als politisch verlässlich galten. Opportunismus, Machtkalkül und Karrierestreben machten sich auch im Vereinsleben breit.

Die Sportler selbst genossen relativ lange einen einigermaßen geschützten Raum, wie Matthias Thoma erläutert. Dies zeigt sich allein darin, dass einer wie Julius Lehmann noch zwei Jahre nach den Nürnberger Rassegesetzen 1935 für die Eintracht auf dem Platz stand. Die obere Sportbehörde spielte noch auf Zeit, da 1936 die Olympischen Spiele in Berlin anstanden und sich das Reich nach außen hin als friedliebende Nation darstellen wollte. Sonst hätte ein Boykott gedroht. Dieses Risiko wollte Hitler, kein Fußballfan, nicht eingehen.

In den Vereinen hatten jüdische Sportler bis 1936 eine akzeptierte Nische, so Thoma. Das änderte sich schlagartig. Auch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hatte sich mit den Nazis arrangiert. Die „Ariergesetze“ schlossen jüdische Sportler kategorisch aus. Und auch die Schuhfabrik wurde 1938 „arisiert“.

Ein Zeitungsbericht vom Sommer 1937 ist der letzte Artikel in den Vereinsnachrichten, in dem der Name Lehmann vorkommt. Zeitzeugen gaben an, dass er in die Schweiz geflüchtet sei. Matthias Thoma weiß: „Er wurde im KZ ermordet.“

Wache Erinnerungskultur

Das Interesse an der Vergangenheit und an den einstigen jüdischen Eintracht-Fußballern sei in der Fanszene sehr lebendig. Auch, wenn die Anhänger des Clubs nicht unbedingt als Mimosen gelten, berichtet Thoma von einem starken Bewusstsein diesem Thema gegenüber. Er spricht von einer wachen Erinnerungskultur.

Der Begriff „Juddebube“ sei heute nur noch selten zu hören. Dennoch würden Fans und Mitglieder immer wieder mit antisemitistischen Äußerungen konfrontiert, so der Museumsleiter in der GSS. Im Mai 2012 hat der Verein am Leistungszentrum Riederwald Stolpersteine verlegt, die an Julius und seinen Vater Max Lehmann erinnern. Die Fans hatten dafür Geld gesammelt. Mehr als 100 Eintrachtler kamen damals zur Gedenkfeier.

© Bergsträßer Anzeiger, Dienstag, 23.02.2016

 

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Matthias Thoma, Leiter des Museums von Eintracht Frankfurt, war zu Gast an der Geschwister-Scholl-Schule. Er sprach vor Schülern der neunten und elften Jahrgangsstufe über die Vereinsgeschichte während der NS-Zeit.

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